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OGH pro Plattform: Ärzte müssen Bewertungen hinnehmen

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Ein Arzt muss hinnehmen, bewertet zu werden. Die Aufnahme seiner Daten durch ein Bewertungsportal ist zulässig. Bewertungsportale sind unabdingbar für Meinungsfreiheit. Die Möglichkeit anonymer Meinungsäußerung darf nicht schlechthin unterbunden werden. Die öffentlich wahrnehmbare berufliche Tätigkeit genießt geringeren Schutz als die Privatsphäre. Die Gefahr schlechter Bewertungen ist grundsätzlich hinzunehmen. Bloße Punktebewertungen stellen keine Tatsachenbehauptungen, sondern Werturteile dar. (ÄK für Wien vs Docfinder, 6 Ob 198/21t, 29.08.2022)

Ärztekammer für Wien und Augenärztin gegen Bewertungsportal

Die Beklagte betreibt ein Bewertungsportal. Nutzer können sich mit frei wählbarem Benutzernamen, Mailadresse und Geburtsdatum registrieren. Ärzte sind mit Titel, Name, Ordinationsanschrift, Fachrichtung, Telefonnummer und Ordinationszeiten auffindbar (Basisprofil) und können nach einem Punktesystem mit null bis fünf Punkten bewertet werden. Zudem können Erfahrungsberichte (Bewertungen) über Ärzte geschrieben werden. Ärzte können einen kostenpflichtigen Premium-Vertrag abschließen und ihr Profil durch Bilder und weitere Informationen ergänzen. Bei jedem Arzt-Profil werden andere Ärzte (Premiumeinträge) im Umkreis vorgestellt. Ärzte können Bewertungen melden und eine Beschwerde an die Beklagte richten, worauf eine interne Prüfung erfolgt. Zur Überprüfung der Bewertung wird mit dem Patienten Kontakt aufgenommen, der allfällige Nachweise wie E-Card-Auszug, Rechnung usw vorlegen muss.

Eine Augenärztin und die Ärztekammer für Wien wollten die Löschung der auf einem Ärztebewertungsportal (docfinder) veröffentlichten Daten der Ärztin erreichen sowie die Unterlassung der Verwendung der Daten der Mitglieder der Ärztekammer.

OGH: rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten

Der Oberste Gerichtshof (OGH) setzt seine Rechtsprechung nach der Lernsieg-Entscheidung (6 Ob 129/21w) fort und ging auch in dieser Sache von rechtmäßiger Verarbeitung personenbezogener Daten der Ärztin nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO aus (berechtigtes Interesse; Erforderlichkeit; Interessenabwägung + keine Grundrechtsverletzung). Ein Arztbewertungsportal fällt in den Schutzbereich von Art 10 EMRK und Art 11 GRC (Meinungsfreiheit; Weitergabe fremder Meinungen und Informationen) und erfüllt einen von der Rechtsordnung grundsätzlich gebilligten Zweck und der Portalbetreiber nimmt eigene berechtigte Interessen aber auch berechtigte Nutzerinteressen wahr, weil er die Abgabe, Verbreitung und Kenntnisnahme von Meinung ermöglicht. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Ärzte ist dafür unabdingbar. Missbrauchsmöglichkeit steht dem nicht entgegen. Die Gefahren von Mißbrauch für die Persönlichkeitsrechte der Ärzte sind aber in die Interessenabwägung einzubeziehen. Im konkreten Fall überwiegen die Interessen der Augenärztin nicht.

Die Bewertungen können die Arztwahl behandlungsbedürftiger Personen beeinflussen und sich auf den Wettbewerb auswirken und damit im Falle negativer Bewertungen sogar die berufliche Existenz des Bewerteten gefährden. Neben dem geschützten Eigeninteresse besteht ein ganz erhebliches Interesse der Öffentlichkeit. Das Portal ist geeignet, zu mehr Leistungstransparenz im Gesundheitswesen beizutragen. Diesen Zweck kann es allenfalls (nur) eingeschränkt erfüllen, wenn es von der Zustimmung der bewerteten Ärzte abhängig wäre.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt kein Recht, in der Öffentlichkeit so dargestellt zu werden, wie es dem eigenen Selbstbild und der beabsichtigten öffentlichen Wirkung entspricht.

Die Sozialsphäre, in der der Betroffene als in Gemeinschaft stehender Mensch in Kommunikation mit Außenstehenden tritt, genießt keinen so weitgehenden Schutz wie der höchstpersönliche Lebensbereich. Der Betroffene muss sich auf die Beobachtung und Bewertung seines Verhaltens einstellen. Dies gilt in umso höherem Maße, je intensiver sich eine Person im öffentlichen und sozialen Leben betätigt. In seinem beruflichen Bereich muss sich der Selbständige auf die Beobachtung seines Verhaltens durch die breitere Öffentlichkeit und auf Kritik an seinen Leistungen einstellen. Die Gefahr schlechter Bewertungen ist grundsätzlich hinzunehmen, weil jede Beurteilung inhaltsleer würde, wenn schlechte Bewertungen bereits per se beanstandet werden könnten.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Portal dazu missbraucht wird, kreditschädigende oder beleidigende Aussagen bezüglich eines Arztes zu verbreiten, insbesondere aufgrund der den Nutzern eingeräumten Möglichkeit, zu den Punktebewertungen Erfahrungsberichte zu schreiben. An der Verbreitung von Beleidigungen, unwahrer rufschädigender Tatsachenbehauptungen oder von Wertungsexzessen besteht kein von der Meinungsäußerungsfreiheit gedecktes Interesse.

Die Möglichkeit anonymer Meinungsäußerung im Internet darf nicht schlechthin unterbunden werden. Es hat eine Interessenabwägung stattzufinden, was bedeutet, dass Personen, die von missbräuchlichen Bewertungen betroffen sind, einen derartigen Missbrauch bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen haben.

Eine Authentifizierung (Klarname; Patientennachweis) würde die Bereitschaft zur Vornahme von Bewertungen – insbesondere kritischer – herabsetzen. Überdies würde damit jede Bewertung von einer Preisgabe von Umständen des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Gesundheit) gegenüber der Beklagten abhängig gemacht.

Ärzte sind der Gefahr der Verbreitung kreditschädigender oder beleidigender Aussagen nicht gänzlich schutzlos ausgesetzt. Zwar mag eine öffentliche Reaktion auf eine Bewertung aufgrund der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht (§ 54 ÄrzteG) nicht in allen Fällen möglich sein, allerdings ist beim Bewertungsportal ein Melde- und Beschwerdesystem eingerichtet.

Die Bewertung betrifft allein die von der Öffentlichkeit wahrnehmbare berufliche Tätigkeit der Ärztin, die einen geringeren Schutz genießt als die Privatsphäre.

Bloße Punktebewertungen stellen keine Tatsachenbehauptungen, sondern Werturteile dar, weil die subjektive Einordnung auf einer Skala von null bis fünf Punkten nicht objektiv auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann. Unsachliche Motivationslagen einzelner Bewertender können durch die Gestaltung des Portals schon grundsätzlich nicht vermieden werden. Auch unsachlich motivierte Werturteile sind von der Meinungsäußerungsfreiheit erfasst, solange kein Wertungsexzess vorliegt.

Für die passiven Nutzer des Portals ist klar ersichtlich, dass in die Gesamtbeurteilung eines sowie in die Bewertungen der einzelnen Kategorien die subjektiven Einschätzungen mehrerer Personen eingeflossen sind. Sie werden den jeweiligen Punkte-Angaben daher nur die Bedeutung beimessen, eine Tendenz bzw eine gemittelte Stimmungslage widerzuspiegeln.

Eine freiberufliche Ärztin, die ihre Leistungen in Konkurrenz zu anderen Ärzten öffentlich anbietet, muss sich von vornherein auf die Beobachtung ihres Verhaltens durch eine breitere Öffentlichkeit und auf Kritik an ihren Leistungen einstellen.

Dass der Portalbetrieb auch der Gewinnerzielung der Beklagten dient, führt nicht per se zum Überwiegen der Interessen der Erstklägerin.

Entscheidend ist, ob dem Arzt durch die konkrete Gestaltung des Bewertungsportals ein Nachteil droht, der über die Verarbeitung der erforderlichen und die mit der Bewertungsmöglichkeit verbundenen, und grundsätzlich hinzunehmenden Gefahren, nicht nur unerheblich hinausgeht.

Verlässt die Portalbetreiberin ihre Stellung als „neutrale Informationsmittlerin“, mit der sie vor allem die Interessen der Nutzer und der Öffentlichkeit wahrnimmt, kann sich das bei der Interessenabwägung zu ihrem Nachteil auswirken. Maßgeblich ist, welche konkreten Vorteile zahlenden gegenüber nichtzahlenden Ärzten gewährt werden und ob die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung in einer Gesamtschau mit allen anderen Umständen des konkreten Einzelfalls dazu führt, dass die Interessen des gegen seinen Willen in das Portal aufgenommenen Arztes die berechtigten Interessen der beklagten Portalbetreiberin und vor allem der Portalnutzer überwiegen.

Der Umstand, dass in jedem Arztprofil andere Ärzte im Umkreis angezeigt werden, wobei die Feststellungen keine Vorreihung der (bezahlten) Premiumprofile oder deren Bevorzugung durch eine Anzeige des „Sliders“ an deutlich weniger prominenter Stelle ergaben, führt nicht zu einer Benachteiligung der Erstklägerin. Der Hinweis auf weitere Ärzte entspricht grundsätzlich der Funktionsweise eines Arztsuchportals. Eine Benachteiligung der gegenüber konkurrierenden Ärzten, insbesondere durch „Umleitung“ präsumtiver Patienten zu zahlenden Kunden ergibt sich daraus nicht.

Für den Durchschnittsadressaten besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei aufwändiger gestalteten Einschaltungen in vergleichbaren Verzeichnissen um bezahlte Anzeigen handelt. Dass zahlenden Ärzten in größerem Umfang als der Nichtzahlenden die Möglichkeit eingeräumt wird, auf ihrem Profil von ihnen angebotene Leistungen anzugeben, führt daher im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung nicht dazu, dass die Interessen der Erstklägerin am Unterbleiben der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten die Interessen der Beklagten und ihrer Nutzer an dieser Datenverarbeitung überwiegen.

Rechtsanwalt Bewertungen

Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck LL.M. beschäftigt sich mit Rechtsfragen zu Bewertungen und vertritt in Streitigkeiten vor Gericht.